Wie schaffe ich es, mein Kind zweisprachig zu erziehen, so dass es sowohl Deutsch als auch die andere Muttersprache gut sprechen und lesen kann? Diese Frage stelle ich mir tagtäglich und weiß oft nicht, was der richtige Weg ist. Ich möchte, dass meine Kinder gut Griechisch können, aber ich scheitere an der Realität im Alltag, die oft keinen Platz für das Griechische erlaubt. So wie ich, fühlen sich viele Eltern – ob Italiener, Griechen, Türken, Spanier…
Was mache ich falsch, was kann ich besser machen, um mein Kind zu unterstützen und die Freude an der anderen Muttersprache zu wecken?
Ich habe hierzu eine Expertin befragt. Dr. Anja Leist-Villis, die den „Elternratgeber Zweisprachigkeit“ geschrieben hat und im Bereich kindlicher Zweisprachigkeit forscht.
Das Interview:
Bibliomagia: Was sind die häufigsten Fragen, die Ihnen Eltern zum Thema zweisprachige Erziehung stellen?
Leist-Villis: Es sind eher Gedanken, die Eltern oft äußern wie zum Beispiel „Überfordere ich mein Kind vielleicht?“, „Mache ich es richtig?“, „Wie kriege ich es gut hin, dass mein Kind beide Sprachen spricht?“, „Muss ich konsequent sein?“ .
Bibliomagia: Wie wichtig ist es tatsächlich konsequent zu sein? Oftmals ist es nämlich schwierig umzusetzen. Beispiel: Die italienische Mutter spricht mit ihren Kindern italienisch. Die deutschen Großeltern fühlen sich jedoch ausgeschlossen und möchten, dass die Mutter deutsch mit ihren Kindern spricht.
Leist-Villis: Es ist eine Idealidee konsequent zu sein. Im Alltag funktioniert das jedoch fast nie. Ich sage den Eltern hier aber auch ganz klar, dass sie sich nicht unter Druck setzen sollen. Es ist Teil der gelebten Wirklichkeit, dass es nicht immer funktionieren kann. Zum Ihrem Beispiel mit den deutschen Großeltern: Für die Großeltern kann das eben auch eine blöde Situation sein, nichts zu verstehen. Da ist es eben wichtig eine klare Regelung zu treffen und mit ihnen auch zu sprechen. Dass sie also darauf vertrauen können, dass da nicht etwa gesagt wird „Die Oma ist blöd!“, sondern dass es um Dinge geht, die vielleicht einfach nicht relevant sind für sie.
Klar ist aber auch, dass je mehr Ausnahmen man macht, desto mehr wird die andere Sprache in den Hintergrund gedrängt.
Bibliomagia: Woran liegt das, dass die meisten Kinder nach dem Kita-Eintritt anfangen, immer weniger in der anderen Sprache sprechen zu wollen? Die Mutter oder der Vater reden mit dem Kind in der anderen Sprache und das Kind antwortet auf Deutsch. Wie kann man das lösen?
Leist-Villis: Mit dem Eintritt in die einsprachige Kita erleben Kinder vehement, dass Deutsch wichtiger ist. Es ist die Sprache mit denen sie sich mit den anderen Kindern und den Erziehern unterhalten können. Dass das Kind irgendwann kaum noch die andere Sprache spricht, ist dann ein schleichender Prozess. Man kann beobachten, dass je mehr das Kind durch die Kita und die Umgebung Deutsch als wichtiger empfindet und es so auch lebt, desto mehr Deutsch sprechen dann auch die Eltern.
Kinder empfinden irgendwann die andere Sprache als eine Sprache, die nicht relevant ist für Ihren Alltag. Da kommen dann manchmal auch mal Reaktionen wie „Kannst du keine normale Mutter sein, wie andere auch?“, wenn die Mutter darauf besteht die andere Sprache zu sprechen.
Bibliomagia: Sollte man darauf bestehen, dass das Kind in der anderen Sprache antwortet, obwohl es vielleicht schon auf Deutsch geantwortet hat?
Leist-Villis: Nein, davon rate ich ab. Da wird die andere Sprache irgendwann zum Zankapfel und sie wird unter Umständen als nervige Angelegenheit empfunden. Man kennt das ja mit anderen Ermahnungen. Ich sage meinem Sohn auch immer, dass er seine Hände mit Seife waschen soll, wenn er nach Hause kommt und es ist immer wieder nervig für mich und mein Kind, darauf zu bestehen.
Bibliomagia: Wie geht man damit um, wenn Kinder die beiden Sprachen vermischen?
Leist-Villis: Das ist eben eine lebendige Zweisprachigkeit. Zum einen ist es Gewohnheit, weil man gerade auch als kleines Kind damit aufwächst die Sprachen zu vermischen. Kleine Kinder kennen nicht alle Wörter und nehmen sich dann eben das raus, was sie gerade kennen. Das Vermischen geschieht ganz unbewusst. Ab vier Jahren beginnt allmählich das Bewusstsein für Sprachen, aber da kann es eben auch sein, dass es für bestimmte Wörter kein adäquates Äquivalent gibt. Ein Beispiel: „Και σε μας θα έρθει το Osterhase!“ Wie soll das das Kind anders sagen? In Griechenland gibt es eben keinen Osterhasen!
Bibliomagia: Welche Rolle spielt der herkunftssprachliche Unterricht, den viele Kinder besuchen, wenn sie zweisprachig aufwachsen? Meine persönlichen Erfahrungen zeigen, dass dieser Unterricht von den Kindern nicht gemocht wird. Sie wollen ihn eigentlich nicht besuchen und es ist auch für die Eltern ein großer Kampf, ihre Kinder dafür zu begeistern. Können Sie einen Ratschlag geben, wie Eltern damit am besten umgehen können?
Leist-Villis: Da können die Eltern eigentlich gar nicht viel tun. Es ist ein Problem unseres Bildungssystems. Viele Kinder empfinden diesen Unterricht als unangenehme Zusatzbelastung. Wer hat schon Lust nach der Schule oder am Wochenende nochmal in den Unterricht zu gehen? Der herkunftssprachliche Unterricht wird meistens separat vom Regelunterricht erteilt. Dabei wär es viel besser, wenn er koordiniert in den Regelunterricht integriert werden würde. Aber das ist selten der Fall. Es gibt ein paar Projekte, die das erfolgreich so machen, aber es sind noch viel zu wenige. Am Ende bleibt es an den Eltern hängen.
Bibliomagia: Wie wichtig ist das Vorlesen in beiden Sprachen?
Leist-Villis: Generell ist Vorlesen wichtig! Je früher das Kind mit geschriebener Sprache in Kontakt kommt, desto besser klappt es später mit dem Lesen und Schreiben in der Schule.
In der anderen Sprache vorzulesen, bedeutet einen großen Mehrwert. Das Kind lernt so eine Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten kennen, die es sonst in der Alltagssprache nicht mitbekommt.
Bibliomagia: Was sind die 3 wichtigsten Tipps, die Sie Eltern, die ihre Kinder zweisprachig erziehen, mitgeben können?
Leist-Villis:
- Eltern sollten sich bewusst sein, was sie möchten und danach handeln
- Sie sollten keinen Druck ausüben – das bringt nichts und ist eher kontraproduktiv
- Möglichst viel Kontakt zu Familie, Freunde und Bekannte pflegen, die auch die gleiche Sprache sprechen. Den Urlaub öfter im jeweiligen Land verbringen, das hilft enorm.
Grundsätzlich muss ich jedoch auch sagen, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, mit dem Eltern hier konfrontiert werden. Es wird ihnen nicht leicht gemacht, eine zweisprachige Erziehung umzusetzen. Die Anerkennung fehlt da oft. Wenn Sie eine Mutter im Supermarkt sehen, die mit ihrem Kind Englisch redet, werden viele sagen “Super! Du kannst schon Englisch sprechen?“. Spricht das Kind aber vielleicht Albanisch sieht das schon ganz anders aus. Hier gibt es ganz klar eine Gewichtung anderer Sprachen.
Vielen Dank für das Interview!
Das Buch „Elternratgeber Zweisprachigkeit“ von Dr. Leist -Villis ist im Stauffenburg Verlag erschienen. Unter www.zweisprachigkeit.net kann man das Buch kaufen und noch mehr Infos zum Thema erhalten.